Fast Food oder Leucin? Die richtige Ernährung bei Verletzungen
Wie häufig laufsportbedingte Verletzungen auftreten, hatte Prof. Dr. Steffen Willwacher in seiner Podcastfolge vom 20.09.2021 schon angesprochen. Manchmal lassen sich solche Verletzungen auch trotz ausreichend Regeneration und vielen Vorsichtsmaßnahmen nicht umgehen. Die ersten Gedanken von Sportler:innen nach der Diagnose einer Verletzung drehen sich in der Regel um die medizinische Versorgung: Welche(r) Sportmediziner:in kann mich betreuen? Wie häufig sollte ich Physiotherapie in Anspruch nehmen? Wann kann ich mein Training Schritt für Schritt wieder aufnehmen? Die Ernährung scheint da erst einmal nebensächlich zu sein... oder etwa nicht?
Eine neue Studie zeigt, dass die richtige Ernährung den Muskelschwund nach einer Verletzung um bis zu 50% reduzieren kann. Das erlaubt es, nach der Reha wieder schnellstmöglich ans Training vor der Verletzung anzuschließen und somit zum alten Kraftniveau zurückzukehren. So wenig Zeit wie möglich zu verlieren, ist für jede(n) Leistungssportler:in Gold wert. Besonders im Profisport können mit verletzungsbedingten Ausfällen auch enorme finanzielle Einbußen einhergehen. Aber wie passt man seine Ernährung korrekt an die jeweilige Verletzung an? Um diese Frage zu klären, war Kirsten Brüning in der Podcastfolge vom 22.11.2021 zu Gast. Sie ist schon seit 18 Jahren als Ernährungsberaterin tätig. Unter anderem betreut sie Athlet:innen am Olympiastützpunkt in Frankfurt am Main. Für Kirsten ist es bereits die vierte Folge im Mainathlet-Podcast. In den bisherigen Aufnahmen ging es darum, wie eine Ernährungsberatung grundsätzlich abläuft, warum Sportler:innen diese in Anspruch nehmen (sollten) und wie eine sportgerechte Ernährung aussieht. Wenn dich diese Themen interessieren, hör gerne mal in die Folgen 12, 13 und 115 des Podcasts rein. 😉 Heute dreht sich aber alles darum, wie du deine Ernährung während einer Verletzung- sei es durch einen Unfall, Überbelastung oder zu kurze Regenerationszeiten verursacht- verändern solltest, um den Ausfall zu minimieren.
Kirsten selbst ist bei der „International Sports & Exercise Nutrition Conference“ in Newcastle auf die Thematik aufmerksam geworden. Vor Ort wurde ein Beispiel für eine erfolgreiche Ernährungsintervention im Rahmen einer Verletzung vorgestellt: Ein englischer Footballspieler hatte sich einen Kreuzbandriss zugezogen. Das machte sich ein Forschungsteam um Benjamin Wall zu Nutzen: Unmittelbar ab dem Tag seiner Verletzung wurde seine Ernährung umgestellt und sein Muskelanteil regelmäßig untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass der aufgrund seiner Immobilität erwartete Abbau von Muskulatur um 50% verringert werden konnte. Das legt nahe, dass eine angepasste Ernährung maßgeblich zur Erhaltung der Muskulatur bei Immobilität beitragen kann. Natürlich wendet Kirsten ein, dass jeder Mensch individuell auf Ernährungsinterventionen reagiert. Der Fall des Footballspielers zeige aber, wie groß die positiven Auswirkungen einer zielgerichteten Ernährung in Verletzungsphasen sein können.
Allgemein gilt für jeden Menschen: Wenn ganze Extremitäten stillgelegt werden müssen, erfährt man vom ersten Tag an einen Muskelschwund. Laut Kirsten könne dieser sogar bei 0,5% der vorhandenen Muskelmasse pro Tag liegen. Damit geht zwangsläufig auch ein entsprechender Kraftverlust einher. So kann man, in Abhängigkeit davon welche Extremität betroffen ist, mehrere Kilogramm Muskelmasse während einer Verletzungspause verlieren. Den Verlust an Muskulatur vollständig zu unterbinden, wäre utopisch. Ihn stark zu reduzieren, ist jedoch ein realistisches Ziel.
Entscheidend für alle Sportler:innen ist der Zeitpunkt, zu dem sie wieder ins sportliche Geschehen eingreifen können („return to court/ field“). Um wieder in den ursprünglichen Trainingszustand zu gelangen, ist es maßgeblich, wie viel Muskulatur bis dahin bereits verloren gegangen ist.
Aber wie muss die Ernährung nun konkret aussehen? Allgemein setzen sich Proteine in ihrer Primärstruktur aus Aminosäuren in einer spezifischen Sequenz zusammen. Das heißt, wenn ausreichend Proteine (und somit auch Aminosäuren) über die Ernährung zugeführt werden, können diese besser verstoffwechselt werden, wovon letztendlich die Muskelbiosynthese profitiert. Heilungsprozesse nach einer Verletzung können besonders durch bestimmte verzweigtkettige Aminosäuren, die als BCAAs bekannt sind, unterstützt werden. Dazu zählen neben Leucin auch Isoleucin und Valin. Vor allem Leucin hat direkten Einfluss auf Signalwege der Muskelbiosynthese. Somit fördert Leucin den Erhalt und Aufbau von Muskulatur. Leucin ist vor allem in tierischen Produkten enthalten. Kirsten empfiehlt, täglich 2,5-3g Leucin aufzunehmen. Diese Menge erreicht man beispielsweise bereits mit einer Portion á 100g Rindfleisch oder Hähnchenbrustfilet, zwei Eiern oder einer Portion Fisch. Ein wenig niedriger fällt der Gehalt bei Milchprodukten aus: Aber auch Quark und Käse liefern ca. 2g Leucin pro 100g. Daneben sind auch Hülsenfrüchte gute Leucin-Lieferanten, aber leider für viele Menschen etwas schlechter verdaulich.
Generell gilt, dass im besten Fall vier bis sechs kleinere Portionen mit jeweils 20-35g Eiweiß aufgenommen werden sollten, um die Muskelbiosynthese, also den Erhalt und Aufbau neuer Muskulatur zu unterstützen. Kirsten nennt das, dem Körper „Eiweiß im Flow“ zuführen. Damit sollte man in der Verletzungsphase auf ca. 1,6-2,5g Protein pro Kilogramm Körpergewicht kommen. Gleichzeitig wird die Menge an Kohlenhydraten und Fetten entsprechend reduziert.
Darüber hinaus sollte neben dem Proteinbedarf auch der Energiebedarf ans Aktivitätslevel während der Reha angepasst werden. Dafür ist es wichtig zu wissen, ob der/ die Verletzte (auf Krücken) gehen kann und ob irgendeine Art von Alternativtraining möglich ist. Generell haben besonders Leistungssportler:innen in Folge der Anpassungen ans tägliche Training einen erhöhten Grundumsatz. Zudem benötigt der Körper zusätzliche Energie, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken und stattdessen die Muskulatur zu erhalten. All diese Faktoren müssen berücksichtigt werden.
Entscheidend ist es also, sowohl den Energiebedarf als auch den Proteinbedarf genau zu berechnen und der Verletzung entsprechend anzupassen, weil sonst der Muskelabbau stärker ausfallen kann.
Darüber hinaus legt Kirsten verletzten Sportler:innen die Supplementierung von Kreatin ans Herz. Kreatin trägt zur Versorgung der Muskeln mit Energie bei und unterstützt so den Muskelaufbau. Dem englischen Footballspieler aus der Studie von Benjamin Wall sind in den ersten zwei Wochen zwei Mal täglich 5g Kreatin gegeben worden. In den folgenden Wochen nahm er weiterhin 5g pro Tag als Erhaltungsmaßnahme ein. Außerdem fördern Vitamin C-reiche Lebensmittel mit ihrer antioxidativen Wirkung den Aufbau von Bindegewebe. Bekannt für einen hohen Gehalt an Vitamin C sind beispielsweise Beerenfrüchten, Zitrusfrüchte und Gemüse wie Paprika und Brokkoli. Auch Zink aus Haferflocken und Linsen kann als „heilender Mineralstoff“ in Verletzungsphasen wichtig sein. Aber natürlich sollte die individuelle Dosierung immer im Rahmen einer Ernährungsberatung festgelegt werden. Denn vor Über- und Hochdosierungen von Nahrungsergänzungsmitteln während einer Verletzung warnt Kerstin eindrücklich.
Während des Heilungsprozess´ einer Verletzung laufen zudem Entzündungsprozesse ab. Diese sind wichtig für die Heilung, sollten allerdings nicht Überhand nehmen. Daher empfiehlt Kirsten, den Konsum von Zucker, Weißmehl, Alkohol und fettreichem Fleisch zu reduzieren. Denn diese Lebensmittel und Inhaltsstoffe verstärken die Entzündungsprozesse zusätzlich. Dagegen kann ein mineralstoffreiches Mineralwasser überschießende Entzündungsprozesse ausgleichen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine gesunde und eiweißbetonte Ernährung kann dazu beitragen, dass der Muskelabbau messbar geringer ausfällt. Deshalb sollten bei einer Verletzung neben Physiotherapie- und Arztterminen auch unbedingt Termine zur Ernährungsberatung wahrgenommen werden. Vor allem bei Immobilität von Extremitäten sollte die Ernährung von Tag 1 an umgestellt werden, um möglichst wenig Muskelmasse zu verlieren.
Autorin: Linn Kleine
Quellen:
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